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18.11.2015

Was war das?! – Erlebnisbericht aus Sicht der Elternselbsthilfe Wie ernsthaft setzen sich Verwaltung und Politik mit Forderung der Elternselbsthilfe auseinander, fragten sich Teilnehmerinnen eines Workshops.

„Was war das?!" fragten sich die Vertreterinnen aus fünf Elternselbsthilfeorganisationen nach dem Workshop am 04.11.2015, auf dem die vorläufigen Ergebnisse der Studie „Versorgungskoordination bei Familien mit lebensverkürzend und schwer erkrankten Kindern in Berlin" vorgestellt und die aus Experteninterviews und Fragebögen exzerpierten Thesen zur Diskussion gestellt wurden.

Alle fünf Frauen vertraten Selbsthilfegruppen oder –organisationen, die als Bündnispartner unsere Petition „Endlich ein zentraler Lotsendienst für Familien mit versorgungs- und betreuungsintensiven Kinder" im April 2015 eingereicht haben.

Die o.a. Studie sollte die aktuellen Strukturen nachvollziehen und ggf. (!) Handlungsbedarfe und Perspektiven für eine Weiterentwicklung definieren. Dass es Handlungsbedarf gibt, hatten knapp 600 Petent/innen aus Berlin bereits unterschrieben. Und dass es sich um kein rein Berliner, sondern ein bundesweites Problem handelt, machten 1.350 Unterstützer/innen dieser Petition bundesweit und rund 1.600 Eltern bundesweit deutlich, die sich an der Kindernetzwerk-Studie zur „Lebens- und Versorgungssituation von Familien mit chronisch kranken und behinderten Kindern in Deutschland" beteiligt hatten. Aber was soll´s: vielleicht ist eine weitere „unabhängige" Studie glaubwürdiger. Betroffene – in unserem Fall größtenteils Eltern – sind ja immer schon so „vorbefasst" und „ansprüchlich" ...

Wir gutgläubigen beteiligten Selbsthilfevertreter/innen gingen jedenfalls davon aus, dass unsere Petition und deren Inhalt bei der Beauftragung der Studie hinreichend berücksichtigt wird und daher eine „Ergebnisoffenheit" erwartet werden durfte. Weit gefehlt. Schon allein der Titel der Studie reduziert die Zielgruppe auf lebensverkürzend und schwer erkrankte Kinder, wobei eine klar abgrenzbare Definition, ab wann ein Kind lebensverkürzend oder schwer erkrankt ist, schwer zu treffen ist und subjektiv sehr unterschiedlich ausfällt. Uns wurde jedenfalls auch nach mehrmaligen Nachfragen nicht ausreichend erklärt, wie es zu dem Arbeitstitel der Studie gekommen ist. Die betroffenen Kinder aus den vertretenden Selbsthilfeorganisationen sind jedenfalls zu weiten Teilen in der Logik des Studiendesigns nicht lebensverkürzend oder schwer erkrankt. Nicht einmal beatmete oder tracheotomierte Kinder fielen in diese Zielgruppe.

Hier hat – so unsere Folgerung – die beauftragende Senatsverwaltung von vornherein eine massive Einschränkung vorgenommen, dessen Logik sich spätestens Mitte des Workshops auch erklärte: zwei Stellen sollen im Ergebnis der Studie als Empfehlung des „Handlungsbedarfs" herauskommen, die man in die Haushaltsberatungen einbringen möchte. Ach so! Ja, das löst sicherlich alle Probleme. Zumal man sich auch schon ziemlich einig zu sein schien, dass die beiden Stellen den Berliner Pflegestützpunkten zugeschlagen werden sollen. Und das, wo einschlägige Untersuchungen den Pflegestützpunkten immer noch einen geringen Bekanntheitsgrad attestieren und es bei unserer Forderung eben nicht nur um das Thema Pflege geht, wie es der Normalbürger bei PFLEGEstützpunkten erwartet. Unserer Erwartung nach werden die Pflegestützpunkte auch weiterhin einem großen Kreis potentieller Nutzer/innen unbekannt und zudem Menschen mit Einwanderungshintergrund im wahrsten Sinne des Wortes fremd bleiben.

Da die Studie der Berliner Beratungs- und Versorgungslandschaft Schnittstellenprobleme attestierte, wurde den zuvor „herausgearbeiteten" zwei Stellen auch eher eine koordinierende Funktion zugedacht – aber nicht etwa auf der Einzelfallebene, nein, sondern auf der Metaebene. Also bloß nichts, was direkt den betroffenen Familien zu Gute kommt, sondern nur indirekt durch bessere Vernetzung der schon vorhandenen Akteure.

Sorry, das wird dem Handlungsbedarf in keiner Weise gerecht und zeugt nicht von handwerklichem oder fantasievollem Geschick. Denn dass es sehr viel Handwerk, Denkarbeit und Fantasie erfordert, um der Komplexität gerecht zu werden, zeigten auch die vorgestellten vorläufigen Ergebnisse und zeigen die tagtäglichen Erfahrungen von Eltern mit den unterschiedlichen Leistungsträgern. Die Studie hat wohl ausdrücklich nicht den Auftrag auch zu sagen, wie eine Lösung aussehen könnte. Nach der Empfehlung: „zwei zusätzliche Stellen für ganz Berlin" ist Schluss.

Das hat nichts mit Steuerung und Sicherstellung des Versorgungsauftrages zu tun, den das Sozialgesetzbuch den Leistungsträgern ins Hausaufgabenheft schreibt. Und es spielt unterschiedliche Bedarfsgruppen und Leistungsträger, die auf unterschiedlichen gesetzlichen und vertraglichen Grundlagen tätig sind, gegeneinander aus. Dem Anschein nach sind eh nicht alle Akteure für ein gemeinsames Vorgehen zu gewinnen. Das zeigt auch die Tatsache, dass beispielsweise keine Vertreter/innen der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales aus den Aufgabenbereichen Gesundheit und Menschen mit Behinderung oder aus der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft aus dem Aufgabenbereich Jugend und Familie beim Workshop anwesend war. Schade. Nein: ÄRGERLICH!

Das System ist nun mal so, wie es ist, oder „Die Umständen sind nicht so, wie es das betroffene Kind und seine Angehörigen brauchen.", wie eine Teilnehmerin im Nachgang formulierte. Aber es muss doch verdammt noch mal möglich sein, dass die beteiligten Akteure ihre jeweiligen Komfortzonen verlassen und im Sinne der Betroffenen gemeinsam agieren! Unsere Kinder sind nun mal nicht teilbar, wie es unsere Sozialgesetze gerne hätten.

Wir haben in dem guten Glauben an dem Workshop teilgenommen, dass er als Format gewählt wurde, damit die dort vertretenen Akteure noch ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Forderungen in das „Endprodukt" einfließen lassen können. Wir möchten nicht annehmen, dass diese demokratische und partizipatorische Form eines Workshops nur benutzt wurde, um den Studien-Ergebnissen eine (dann nur scheinbare) Legitimität durch die Teilnehmer/innen – und da wir nicht für alle sprechen können: durch uns Eltern – zu attestieren. Sollten wir wohlmöglich umsonst unsere Freizeit und unser Engagement investiert haben?! Wir wollen es nicht glauben und geben die Hoffnung nicht auf.

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für Familien mit chronisch kranken, behinderten und/oder pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen e.V.